Künstliche Intelligenz übernimmt viele Tätigkeiten, für die Wirtschaftsingenieurinnen und Wirtschaftsingenieure prädestiniert waren. Vom Controlling in Excel über Produktdesign bis zur Logistik- und Werksplanung – KI vereinfacht viele dieser Tätigkeiten und wird sie langfristig zumindest in Teilen vollautomatisieren, davon bin ich als Wirtschaftsingenieur und KI-Experte überzeugt. Doch WiIngs können von diesem Trend zu Daten und KI enorm profitieren, steht hinter diesem doch auch wieder die Wirtschaftlichkeit dank Effizienzsteigerung und neuer Geschäftsideen. In diesem Essay geht es darum, wie unsere Industrie, unsere Gesellschaft und jeder WiIng von dem Themengebiet Big Data und KI profitieren kann.
Big Data hat sein Versprechen gehalten
„Big Data“ als Buzzword erlebte zwischen 2012 und 2015 einen enormen Hype und dominierte Konferenzthemen. Doch trotz des Interesses arbeiteten zu dieser Zeit nur wenige tatsächlich mit Big Data, und noch Jahre danach wurde bestritten, dass Big Data sein Potenzial jemals entfalten würde. Die Euphorie flachte nach 2015 schnell ab, und das Interesse an Big Data ließ nach. Stattdessen konzentrierten sich Unternehmen auf kleinere, greifbarere Projekte und „Data Science“ löste den Hype ab.
Jedoch, und das ist vielleicht seit dem Aufkommen von ChatGPT noch deutlicher geworden, hatte Big Data sein Versprechen gehalten und dient auch als Grundlage für KI-Anwendungen und sogar als Handels-Ressource für Unternehmen aller Art.
KI als große Chance gegen Wirtschaftskrise
Die Notwendigkeit für die deutsche Wirtschaft, KI zu integrieren, ist aktueller denn je. In einer Welt, die immer komplexer wird und von Krisen wie Pandemien, geopolitischen Konflikten und wirtschaftlicher Rezession geprägt ist, steht die deutsche Industrie besonders unter Druck. KI bietet in diesem Kontext eine vielversprechende Lösung. Sie ist in der Lage, die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen in einem turbulenten Umfeld zu stärken und eine effiziente Neustrukturierung zu unterstützen.
Laut einer Studie von IW Consult kann KI die Wertschöpfung durch Optimierung der Nutzung bestehender Ressourcen erhöhen. Mit generativer KI könnten Mitarbeiter jährlich durchschnittlich 100 Stunden einsparen, was eine Mehrwertsteigerung von 330 Milliarden Euro zur Folge haben könne. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, ist es entscheidend, dass KI in Unternehmen weiterverbreitet wird.
Derzeit setzen der Studie zufolge bisher etwa 20 Prozent der deutschen Unternehmen KI ein, vor allem in Bereichen wie Marketing, Informationsbeschaffung, Datenanalyse und Dokumentenerstellung. Fast die Hälfte plant, in den nächsten fünf Jahren in KI zu investieren, um menschliche Tätigkeiten zu ersetzen. Diese Entwicklung zeigt, wie wichtig es ist, KI als zentralen Bestandteil der Wirtschaftsstrategie zu sehen, um den Herausforderungen der modernen Weltwirtschaft zu begegnen.
Es ist mir dennoch wichtig hier herauszustellen, dass diese Studie von Google beauftragt wurde und zukunftsgerichtete Studien nahezu immer einen nicht unwesentlichen Projizierungsfehler aufweisen. Dennoch kann ich als KI-Unternehmer, der für diverse Industrie- und Handelsunternehmen bereits Implementierungen vorgenommen hat, diese Ergebnisse aus Erfahrung bestätigen – und sie ergeben sich aus der Logik, denn die Effizienzpotenziale mit KI liegen auf der Hand und sind für jedermann bereits im Alltag zu erfahren.
Hierbei noch gar nicht dabei berücksichtigt, sind neue Einkommensquellen für Unternehmen auf Basis von Daten- und KI-Anwendungen. Der digitale Wandel steht nicht nur für Effizienzgewinne, sondern auch für neue Geschäftsmodelle.
Daten und KI werden zum Karrierefaktor
Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten haben Unternehmen ein offenes Ohr für Lösungen, die Kosten einsparen, personelle Aufwände reduzieren und generell die Effizienz steigern. Die Planung und Implementierung der dafür nötigen Daten- und KI-Anwendungen bedingt jedoch handfestes Wissen um technische Grundlagen auf der einen Seite sowie einen weitreichenden Wissenshorizont rund um die Big Data- und KI-Landschaften auf der anderen Seite. Fach- und Führungskräfte mit KI-Kompetenz werden bereits seit 2018 gebraucht, sind jedoch immer noch nur schwierig zu bekommen im Raum D/A/CH.
Abbildung 1 – Der generelle Pfad zur Datenstrategie für ein Unternehmen. Alles beginnt mit der Erörterung der Vision und Zielsetzung des Unternehmens. Ein Unternehmen, das am Markt die günstigsten Preise anbieten möchte, nutzt teilweise andere Daten und informationsgenerierende Methoden als Unternehmen, die z. B. als Premium-Anbieter etabliert sein möchten. Ein Unternehmen, dass die beste Produktqualität garantieren möchte wiederum anders als ein Unternehmen, das am schnellsten am Markt reagieren möchte.
Der Bedarf ist da und der Mangel an Datenkompetenz, der sogenannten Data Literacy, führt auch dazu, dass vielen Chefs selbst heute noch eine adäquate Datenstrategie fehlt.
Daten als Anlagevermögen
Für Unternehmen lohnen sich Investitionen in diese Richtung übrigens nicht nur hinsichtlich der Erhöhung der Qualifikationen der Fach- und Führungskräfte oder durch die Wirkung der höheren Effizienz. Höhere Datenkompetenz führt schnell zur höheren Unternehmensbewertung, da saubere Datenbestände längst große Aufmerksamkeit bei jeder Due Dilligence und Wirtschaftsprüfung bekommen.
In vielen Fällen können Daten sogar zum Anlagevermögen werden. Mit dem Konzept Data as a Service (DaaS) lassen sich gesammelte Unternehmensdaten direkt, unter dem Konzept AI as a Service (AIaaS) sogar sehr elegant indirekt zu Geld machen, indem die Daten am Markt angeboten werden, ohne dass die Daten tatsächlich herausgegeben werden müssen. Daten, die für DaaS oder AIaaS qualifiziert werden, können schnell einen Geldbetrag in Höhe mehrerer Millionen Euro wert sein.
Data Scientists alleine sind nicht die Lösung
Obwohl vor einigen Jahren noch die Forderung bestand, Data Science als separate Disziplin in Unternehmen zu integrieren und viele Data Scientists einzustellen, haben heute die meisten großen und viele mittelständische Unternehmen solche Spezialisten in ihrer Organisation integriert. Jedoch erleben auch viele dieser Unternehmen eine Ernüchterung hinsichtlich der Effektivität der Data Scientists.
Dies liegt teilweise daran, dass qualifizierte Data Engineers fehlen, die notwendig sind, um Daten effizient zu sammeln und über Schnittstellen bereitzustellen. Außerdem fühlen sich Data Scientists oft vom Management im Stich gelassen, was möglicherweise auf das Missverständnis zurückzuführen ist, dass Data Science ein isolierter Bereich der angewandten Forschung sei.
Daten- und KI-getriebene Unternehmen brauchen auch WiIngs
Es ist immer effektiver, Data Science als eine interdisziplinäre Funktion zu betrachten, die alle Fachabteilungen unterstützt. Ohne die Akzeptanz und Integration ihrer Erkenntnisse in Projekte können selbst die fähigsten Data Scientists keine Wirkung im Unternehmen entfalten. Zudem ist die Fähigkeit zur Datenanalyse nicht ausschließlich den Data Scientists vorbehalten. Alle Beschäftigten, einschließlich derer in Business Intelligence oder in experimentellen Data Labs, sollten ein Grundverständnis dafür haben, da die wertvollsten Lösungen oft direkt in den Fachabteilungen entstehen.
Abbildung 2 – Unternehmen benötigen heute klare KI-Strategien, die die Datenstrategie sowie alle relevanten IT-Schnittstellen (API) einbeziehen und die KI (AI) – Anwendung auf die Geschäftsprozesse ausrichtet.
Unternehmen werden mit einem zentralen BI-System noch lange nicht zum daten-dynamisch geführten Unternehmen. Vielmehr muss sich diese Entwicklung der Datennutzung auf operativer und strategischer Ebene durch die gesamte Organisation ziehen. Unternehmen benötigen daher eine allgemeine Datenkompetenz, die sowohl Fachkräfte als auch Führungskräfte umfasst. Letztere sollten sich für ein lösungsorientiertes Denken einsetzen und stets die Bedeutung von Daten im Blick haben. Notwendig ist folglich eine Verknüpfung und Kommunikation zwischen Wirtschaftbeziehungsweise Anwendungsgebiet und Technik.
Wie WiIngs den Einstieg schaffen
Zum Vollblut-Nerd muss man dafür nicht werden, es reichen bereits einige technische Grundkenntnisse sowie ein Überblick über die Möglichkeiten.
Die schlechte Nachricht zuerst: Es verlangt vom studierten WiIng eine tiefe Einarbeitung in die Themen. Die Freizeit mit Netflix, Instagram Reels oder Call of Duty zu gestalten, wird hier nicht zügig zum Ziel führen, so hart diese Realität für so manchen auch sein mag.
Die Themengebiete lassen sich wie folgt gruppieren:
• Statistik und Analytische Methoden
Analysemethoden wie Deskriptive Statistik, Predictive Analytics oder Process Mining gehören zum Repertoire genauso dazu wie fundiertes Wissen über Datenerhebung und Datenqualität. Das Wissen um diese Methoden schafft die besten Problemlösungsideen im richtigen Moment.
• Cloud und Daten-Architekturen
Datenbestände sind das A und O für jedes Unternehmen, ohne sie können Analysen schlichtweg nicht stattfinden. Ein grobes Wissen über Architekturen wie das Data Warehouse oder Data Lakehouse sowie Gestaltungsmöglichkeiten von Datenladeflüssen, auch auf Cloud-Umgebungen, sind sinnvoll.
• Maschinelles Lernen und KI
Während das Fine-Tuning von KI-Applikationen echtes Spezialwissen voraussetzt, sind die Grundlagen des maschinellen Lernens (der Kern einer jeden KI) recht schnell gelernt. Unüberwachte gegen überwachte Methoden verglichen, ein einfaches künstliches neuronales Netz nachvollzogen, dafür braucht es nicht mehr als ein bis zwei gute Bücher und man hat gutes Grundwissen.
• Aufbau von Daten- und KI-Stategien
Auch wenn dieser Punkt für WiIngs eigentlich der entscheidende ist, wird er hier bewusst zuletzt genannt. Zwar gibt es Methoden für den Aufbau von Daten- und KI-Strategien, jedoch entstehen diese fundiert erst mit dem Vorhandensein des zuvor genannten Basiswissens.
Mit Motivation und Einsatz ist dieses Wissen binnen 6 bis 24 Monate aufgebaut. Es gibt viele Bücher zu den Themengebiet auch auf Deutsch, außerdem Online-Kurse und Zertifizierungen von Hochschulen.
Für diejenigen, die es besonders ernst meinten, ist optional auch immer noch ein Programmierkurs zu empfehlen, am besten für Python als Quasi-Branchenstandard für Daten- und KI-Anwendungen. Die Programmiersprache ist recht einfach zu handhaben (zum Beispiel vor allem im Vergleich zu C, aber auch zu C#), aber dennoch sehr mächtig und vielseitig. Der eigentliche Benefit von der Programmierung ist aber, Konzepte der Datenverarbeitung und Software-Entwicklung grundlegend zu verstehen. Jemand, derbeispielsweise den Unterschied zwischen iterativer und rekursiver Programmierung versteht, hat in seinem Gehirn ganz neue Denkweisen der Strukturierung geschaffen.
Wie WiIngs mit Data und KI Karriere machen
Karriere macht der, der nicht dem falschen Perfektionismus verfällt. Noch während Grundwissen aufgebaut wird, kann direkt gestartet werden. Der Anfang muss nicht perfekt sein, sondern den Auftakt in die bessere Datennutzung setzen und kann damit der Beginn von etwas viel Größerem werden.
Dies gilt übrigens auch für die Daten. Bestimmte Analysemethoden auf schlechte Datenqualität loszulassen ist genauso falsch wie andere deshalb nicht anzuwenden.
Business Intelligence und Process Mining sind beispielsweise empfindlich für mangelhafte Datenqualität, jedoch ist der Weg hin zu einem guten Reporting auch der Weg zu den Findings. Diese Methoden aus Furcht vor möglichen blinden Flecken nicht anzuwenden, sorgt nur dafür, dass diese eben niemals gefunden werden. Diese analytischen Methoden sorgen neben der herzustellenden Prozesstransparenz also ganz nebenbei auch für höhere Datentransparenz.
Mögliche Ansatzpunkte für erste Erfolge könnten beispielsweise die folgenden Fragen sein:
• Über welche Datenbestände verfügt das Unternehmen und welche werden bereits genutzt? Welche Daten wären zu generieren oder zu sammeln möglich und sind somit in greifbarer Nähe?
• Wie steht es um die Datenqualität im Unternehmen? Wo gefährden inkonsistente, fehler- oder lückenhafte Daten den operativen oder strategischen Unternehmenserfolg?
• Wo werden Daten gespeichert? Welche Daten könnten sinnvoll fusioniert werden? Welche Synergien würden sich mit der Daten-Verknüpfung zwischen ERP, CRM & Co. Ergeben?
• Welche Daten könnten anderen Unternehmen oder Kunden angeboten werden (etwa Verkehrsdaten, Lieferzeiten, Informationen über öffentliche Ressourcen)?
• Welche operativen Prozesse sind relevant für den Geschäftserfolg? Sind diese Prozesse tatsächlich in ihren Ist-Abläufen interessant? Sind Verbesserungspotenziale in den Daten identifizierbar?
• Bei welchen hochfrequenten Daten (Transaktionen wie Bestellungen, Zahlungen oder Transporte) könnten sich wiederholte Muster zeigen, die nützlich sein könnten?
• Wie könnten Mitarbeiter in ihrem operativen Geschäft mit KI-Assistenz unterstützt werden? Was sind häufige Blocker, Zeitfresser oder Fehler im operativen Geschäft?
Diese Fragen sind nur einige Beispiele zur Anregung, mit denen jeder Mitarbeiter sein eigenes Unternehmen, seine Fachabteilungen oder Produkte konfrontieren kann. Die Antworten hierauf sind genauso individuell wie jede Daten- und KI-Strategie es sein sollte – und der Auftakt für die Karriere-Chance als WiIng.
Gastautor Benjamin Aunkofer ist Software-Entwickler und Wirtschaftsingenieur. Als Chief AI Officer und Gründer der Datanomiq, einem Dienstleister für Daten und KI, ist er seit 2015 in der Unternehmensberatung sowie Wirtschaftsprüfung tätig, um mit Unternehmensdaten Prozesse zu optimieren und diese in echte Geschäftswerte zu verwandeln.