Im Rahmen der Hannover Messe 2011 wurde der Begriff „Industrie 4.0“ erstmalig der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Inzwischen ist bereits von „Industrie 5.0“ die Rede, unter anderem um den Fokus auf die „Menschenzentriertheit“ zu legen. Der Forschungsbeirat Industrie 4.0, dem unter anderem die Wirtschaftsingenieurinnen Julia Arlinghaus und Gisela Lanza angehören, sowie die Plattform Industrie 4.0 üben anlässlich der gerade gestarteten Hannover Messe 2024 in einer gemeinsamen Stellungnahme Kritik am Umgang mit dem Begriff „Industrie 5.0“:
„Mehr als zehn Jahre ist es inzwischen her, dass der Begriff Industrie 4.0 vom ehemaligen SAP-Vorstandssprecher Henning Kagermann, dem einstigen CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, Wolfgang Wahlster, und Wolf-Dieter Lukas, Abteilungsleiter und später Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, aus der Taufe gehoben wurde. Seitdem hat sich die in Deutschland begonnene Initiative rund um den Globus verbreitet.
Industrie 4.0 ist heute ein Begriff, der für eine Veränderung steht, die potenziell alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft, denn er steht für die vierte industrielle Revolution. Es ist davon auszugehen, dass diese – so wie die vorangegangenen drei industriellen Revolutionen – einerseits weitreichende Veränderungen bewirken wird, andererseits aber zu ihrer vollständigen Umsetzung auch eine ähnlich lange Zeitspanne wie für die vorausgegangenen industriellen Revolutionen erforderlich sein wird. Das softwaretypische Kürzel „4.0“ dient einerseits als Hinweis auf die vierte industrielle Revolution, betont andererseits aber auch die besondere Rolle, die Software in diesem Prozess spielt. Dabei handelt es sich um ein umfassendes Konzept, das von Beginn an u.a. technologische Inhalte, neue Wertschöpfungsmodelle, Fähigkeiten zur Erstellung neuartiger Produkte, Nachhaltigkeit, Resilienz und insbesondere Konzepte für die optimale Einbindung und Unterstützung der an Industrie 4.0-Lösungen beteiligten Menschen enthält.
Wie jede industrielle Revolution erfordert auch die vierte industrielle Revolution aufeinander aufbauende Maßnahmen. Das bedeutet, dass zu Beginn einer Entwicklung zunächst technische Grundlagen und internationale Standards geschaffen werden müssen, die die Basis für darauf aufbauende Fähigkeiten und die optimale Unterstützung der Menschen in der Produktion bildet. Eine aktive Beteiligung der Beschäftigten ist hierbei essenziell. Die Inhalte von Industrie 4.0 auf technologische Inhalte zu reduzieren, wäre völlig falsch. Und es wäre ebenso falsch, unterwegs auf einem langen, aber wichtigen und richtigen Weg, das Kürzel „4.0“ wie eine Versionszählung zu behandeln und durch „5.0“ zu ersetzen.
Tatsächlich ist dieser Fehler seit einiger Zeit häufiger anzutreffen: Der Begriff „Industrie 5.0“ wurde in der jüngeren Vergangenheit propagiert. Als Kern dieses Begriffes wird neben einigen Inhalten aus dem KI-Bereich gern die „Menschzentriertheit“ definiert, letztlich also der Wunsch, eine möglichst für den Menschen optimale Gestaltung von Arbeitsprozessen einhergehend mit einer bestmöglichen Unterstützung in den neuen Produktionsprozessen zu erreichen. Diese Inhalte sind nicht zu kritisieren, aber den neuen Begriff „Industrie 5.0“ benötigt man zu deren Beschreibung nicht, denn die „Menschzentriertheit“ und der Nutzen für die Gesellschaft sind von Beginn an die wichtigsten Ziele von Industrie 4.0.
Der Begriff „Industrie 5.0“ ist weder notwendig noch hilfreich, denn er umfasst keine neuen Inhalte, suggeriert aber, die vierte industrielle Revolution sei abgeschlossen, und man könne sich vermeintlich neuen Themen zuwenden. Es ist zu erwarten, dass diese unnötigen Begrifflichkeiten zu Verunsicherungen bei Unternehmen und eingespielten internationalen Kooperationen führen können, die sich aktuell mit der Umsetzung der vierten industriellen Revolution befassen.
Die Plattform Industrie 4.0 und der Forschungsbeirat Industrie 4.0 kritisieren daher das leichtfertige Positionieren des unnötigen Begriffs „Industrie 5.0“ mit Nachdruck.“