Großinvestoren und Leuchtturmpolitik sind keine Lösung – das ist das Fazit der Forschungsgruppe CoalExit, die Optionen für einen sozialverträglichen und zukunftsfähigen Strukturwandel in den Kohleregionen anylsiert hat. Insgesamt 40 Milliarden Euro will die Bundesregierung für die Energiewende in den Bergbaurevieren bereitstellen. „Aus unserer Sicht wäre es fatal, würden Wirtschaft und Politik weiterhin so lange wie möglich an den Arbeitsplätzen in der Braunkohle festhalten“, sagt Pao-Yu Oei. Der promovierte Wirtschaftsingenieur ist Leiter der Forschungsgruppe CoalExit am Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik der TU Berlin.
Die These des TU-Teams ist, dass jene Landkreise und Kommunen im Vorteil sein werden, die als Pioniere vorangehen und unverzüglich damit beginnen, Ideen für die Zeit nach der Kohle zu erarbeiten. Aus Sicht von Oei ist die Einstellung auf den Wandel alternativlos. Vor allem müssen der Analyse zufolge für die nun in Ausbildung oder Studium startende junge Generation Job-Perspektiven jenseits der Kohle entwickelt werden.
Eine weitere Voraussetzung für einen sozialverträglichen Kohleausstieg sehen Pao-Yu Oei und sein Team darin, aus den Fehlern der Förderpolitik nach der Wende zu lernen. Dazu gehöre, den Menschen keine blühenden (Industrie-)Landschaften zu versprechen, und nicht zu verschweigen, dass ein solcher Strukturwandel für die eine Region schwieriger sein werde als für die andere. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich zum Beispiel die Lausitz innerhalb kürzester Zeit in einen prosperierenden Landstrich verwandle“, so der Wirtschaftsingenieur: „Und dass es diesen Aufschwung nicht geben wird, hängt noch nicht einmal mit dem Ausstieg aus der Braunkohle zusammen, sondern ist ein generelles Problem ländlicher, strukturschwacher Regionen – die gezeichnet sind durch Abwanderung, Fachkräftemangel und fehlenden Mittelstand.“
CoalExit plädiert für Ideenfindung und -förderung vor Ort
CoalExit plädiert dafür, vor allem Ideen der Menschen zu fördern, die aus der Region kommen, von kleineren Innovationszentren, kleineren Betrieben, von Start-ups. Ziel sei es, einen Mittelstand aufzubauen, der im Gegensatz zu vielen Großinvestoren in der Region wurzelt und Steuern zahlt. Doch neben der Entwicklung einer Wirtschaftsperspektive hält Pao-Yu Oei noch etwas für entscheidend: Die Politik müsse mit den Menschen vor Ort Vorstellungen entwerfen, was die jeweilige Region neben Arbeitsplätzen künftig lebenswert machen solle, was sie als Identifikation biete – damit die Menschen sich nicht weiterhin für Leipzig, Dresden oder Potsdam als Wohnort entscheiden, sondern für Spremberg oder Görlitz, weil sich Familien in diesen beiden Städten vielleicht ein Haus mit Garten leisten können, in Dresden aber nur eine 60-Quadratmeter-Wohnung.
Allein mit Arbeit zu werben reicht aus Sicht von CoalExit längst nicht mehr. Ursache dafür sei der Fachkräftemangel, der sich wegen des demografischen Wandels als Problem zudem verstärken werde. Wichtig sei, dass eine Region neben Arbeit mit einem lebenswerten Umfeld werben könne – mit Kindergärten, Schulen, medizinischer Versorgung, Verkehrsanbindung, bezahlbarem Wohnraum, kulturellen Einrichtungen, Naherholungsmöglichkeiten und auch mit einem gut unterstützten Fußballverein. „Neben der Entwicklung einer Wirtschaftsperspektive muss eine Idee für eine zivilgesellschaftliche Attraktivität mitgedacht und nicht als nachgeordnetes Anhängsel betrachtet werden“, betont der Wirtschaftsingenieur. Eine funktionierende Infrastruktur wird aus seiner Sicht zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor für die Regionen werden.
Nicht nur wirtschaftliche Faktoren bedenken
Außerdem schlägt CoalExit vor, der Lokalpolitik unbürokratisch Geld zur Verfügung zu stellen, um im Sinne der Bewohner experimentieren und entscheiden zu können. Beispielsweise könne Fördergeld für zivilgesellschaftliche Aktivitäten von einer lokal ansässigen Stiftung verwalten und vergeben werden. Vor allem, so Oei, dürfe das Geld nicht nur in die Entschädigung der Energiekonzerne fließen, also in Kanäle, in die das Geld immer fließt.“
Unterm Strich ist es kleinteiligeres Herangehen, wofür das CoalExit-Team plädiert, um den unausweichlichen Strukturwandel, vor dem die Braunkohleregionen stehen, zu bewerkstelligen. Ein Herangehen, was nicht ausschließlich von wirtschaftlichen Faktoren wie Wirtschaftswachstum und Bruttoinlandsprodukt getrieben ist, was einer reinen Leuchtturmpolitik kritisch gegenübersteht, was den Mut hat, auch in Projekte zu investieren, die nicht sofort den großen wirtschaftlichen Output bringen, aber vielleicht den Nährboden schaffen für zivilgesellschaftliches Engagement und Verbundenheit in den betroffenen Kommunen. CoalExit sieht darin die nachhaltigere Politik.