Neue Elektro- und Hybridfahrzeuge müssen ab Mitte 2019 mit einem akustischen Warnsystem ausgestattet werden. Die Vorgaben für dieses Warngeräusch hat die entsprechende EU-Verordnung eher weit gefasst. Zwar dürfen keine Musikstücke abgespielt werden, aber mit welchen Sounds die einzelnen Fahrzeuge Fußgänger auf sich aufmerksam machen, bleibt weitgehend den Herstellern überlassen – das Geräusch soll so ähnlich klingen wie ein Fahrzeug, aber nicht genau so wie ein Diesel oder ein Benziner. Vorgeschrieben sind die Warngeräusche in Europa für E-Fahrzeuge aber lediglich bei Geschwindigkeiten von bis zu 20 Stundenkilometern. Bei höheren Geschwindigkeiten gilt bereits das Geräusch als ausreichend, das die Reifen auf der Fahrbahn erzeugen.
E-Autos mit Sounds unverwechselbar machen
Die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen präsentiert auf ihrer Homepage ein Hörbeispiel für ein akustisches Warnsystem – das allerdings eher an ein startendes Raumschiff erinnert als ein Auto. An der TU München (TUM) entwickeln Psychoakustikerinnen und Psychoakustiker zurzeit die entsprechenden Geräusche. Hugo Fastl, Professor am Lehrstuhl für Mensch-Maschine-Kommunikation, erforscht in diesem Zusammenhang die Grundlagen des Geräuschdesigns für Elektroautos. Die entwickelten Sounds selbst sind zwar noch geheim. Aber laut Fastl will jeder Automobilhersteller ein Geräusch, das für das jeweilige Auto typisch ist: „Schließlich klingt im Moment ein BMW auch anders als ein Mercedes oder ein Porsche – das soll bei den E-Autos ebenfalls so sein.“
Frequenzbereich, Klangfarbe, Rauigkeit
Die TUM-Forschenden setzen die gewünschten Sounds aus mehreren Facetten zusammen. Zunächst wird einem Grundgeräusch eine mittlere Tonhöhe zugeordnet – diese ist einfach abzustrahlen und für die meisten Menschen gut hörbar. Die Tonhöhe kann jedoch auch Rückschlüsse auf das Tempo des Autos zulassen, beispielsweise indem sie bei Beschleunigung nach oben geht. Eine weitere Eigenschaft der Geräusche ist die Klangfarbe, die das Team per Computer erzeugt. „Das ist wie in der Musik“, sagt Fastl: „Sie können auch auf dem Smartphone die ersten Takte einer Mozart-Symphonie abspielen, so dass jeder die Melodie erkennt. Wenn das von einem Kammerorchester mit zehn Musiker gespielt wird, ist es schon besser. Und ein volles Orchester mit 50 Personen kann dann so spielen, wie es sich der Komponist vorgestellt hat.“ Weiterer wichtiger Teil des Sounds: die sogenannte Rauigkeit. „Wenn Rauigkeit in einem Geräusch ist, wird es als sportlich empfunden“, erklärt Fastl. „Einen Ferrari ohne Rauigkeit können Sie schlecht verkaufen.“
Baukasten für zielgruppenrelevante Geräusche
Ein selbst konzipierter und programmierter Sound-„Baukasten“ hilft dem TUM-Team dabei, zielgruppenrelevante Geräusche zu entwickeln. „Das ist ein Computer, der diverse Schalle wie Zutaten abrufen kann; über Algorithmen, die wir selbst entwickelt haben“, erklärt Fastl. Die Geräuschmaschine sieht aus wie ein Mischpult im Tonstudio. Über Regler wird ein synthetischer Klang kreiert und anschließend nach Hörversuchen bearbeitet und angepasst. Die Innengeräusche werden für die E-Fahrzeuge übrigens ebenfalls zielgruppengerecht designt, obwohl es dazu keine Vorschrift gibt – das Original-Geräusch klingt in Autofan-Ohren wohl zu sehr nach Straßenbahn. „Wer einen BMW 7er fährt, mag es eher ruhig“, sagt Fastl dazu: „Ein Porschefahrer dagegen möchte von seiner Investition auch was hören.“ Der Psychoakustiker plädiert übrigens dafür, nicht alle Vorteile der geräuscharmen Elektrofahrzeuge aufzugeben. „Es werden immer mehr Autos mit automatischer Fußgängererkennung auf den Markt kommen. Wir schlagen vor, dass die Geräusche von E-Fahrzeugen nur dann abgestrahlt werden, wenn ein Fußgänger in der Nähe ist.“