Automobilzulieferer ZF hat ein Konzeptfahrzeug mit eingebautem Schutzengel vorgestellt. Dieser greift ein, wenn der Mensch am Steuer abgelenkt ist oder droht, zum Geisterfahrer zu werden.
Der Begriff Vision Zero wird häufig in erster Linie mit emissionsfreier Mobilität verbunden. Aber auch das unfallfreie Fahren ist ein wichtiger Aspekt. Der Automobilzulieferer ZF hat jetzt das Konzeptfahrzeug „Vision Zero Vehicle“ vorgestellt, das technische Lösungen für beide Ziele beinhaltet – einen elektrischen Achsantrieb sowie intelligente mechanische Systeme, die dabei helfen sollen, eine Vielzahl von Unfällen zu vermeiden. ZF sieht in solchen Sicherheitsinnovationen entscheidende Wegbereiter für die Übergangsphase zwischen assistiertem und autonomem Fahren.
Vor Ablenkung schützen
Einer Verkehrssicherheitsstudie des Allianz Zentrums für Technik zufolge geht rund jeder zehnte Verkehrstote mittlerweile auf den Faktor Ablenkung zurück. In Deutschland verloren dadurch im Jahr 2016 etwa 350 Menschen ihr Leben, 94 mehr als durch Alkohol am Steuer. In dem ZF-Konzeptfahrzeug soll der „Driver Distraction Assist“ erkennen, wenn der Fahrer abgelenkt ist und bei Bedarf das Fahrzeug soweit sicher steuern, bis keine größere Gefahr mehr besteht. Technische Basis ist laut ZF eine lernfähige, laserbasierte Time-of-Flight-Innenraumkamera: Diese erfasst die Position des Fahrerkopfs dreidimensional und auch bei schwierigen Lichtverhältnissen. Infolgedessen kann sie erkennen, sobald der Blick des Fahrers vom Verkehrsgeschehen abgewandt ist. Droht dadurch Gefahr, schlägt das System in der ersten Stufe optisch durch Warnung im Zentraldisplay, akustisch sowie haptisch durch aktives Straffen des Sicherheitsgurts Alarm. Parallel dazu unterstützt der Anti-Ablenkungsassistent den Fahrer bei der Längs- und Spurführung des Fahrzeugs, auch in Kurven. Reagiert der Fahrer weiterhin nicht, nimmt das System das Antriebsmoment kontinuierlich zurück. Im letzten Schritt kann es bei weiterhin bestehender Ablenkung sogar die Gasannahme zurücknehmen und den Wagen an sicherer Stelle anhalten.
Geisterfahrten vermeiden
Die Lösung „Wrong-way Inhibit“ soll Geisterfahrten und deren oft fatale Folgen aktiv verhindern – laut ADAC verursachten Geisterfahrer 2016 insgesamt zwölf Tote, bei 2200 Warnmeldungen vor Falschfahrern im Verkehrsfunk. Das System aktiviert sich bereits, wenn der Fahrer per Blinker und eindeutiger Lenkbewegung andeutet, dass er in falscher Richtung in eine Straße einfahren will – sei es infolge von Ablenkung, schlechter Sicht oder fehlender Orientierung. Wird anstelle einer Autobahnauffahrt die Autobahnabfahrt angesteuert, warnt das System zunächst akustisch, haptisch via Gurtvibration und optisch im Informations-Display. Zudem gibt auch das Lenkrad beim Einlenken mittels deutlich erhöhten Lenkwiderstands dem Fahrer unmissverständlich zu verstehen, dass er im Begriff ist, falsch abzubiegen. Sollte der Pilot dennoch abbiegen, hält das System den Wagen am äußeren Fahrbahnrand und bremst zunächst auf Schrittgeschwindigkeit und schließlich bis zum Stillstand ab. Zudem schalten sich sofort das Abblendlicht und die Warnblinkanlage ein, um entgegenkommende Fahrzeuge vor dem Falschfahrer zu warnen. Falls eine Ausweichfläche vorhanden ist oder der Rückwärtsgang eingelegt wird, gestattet das System dem Lenker, entlang des Fahrbahnrands sicher aus der Gefahrenzone zu fahren. Welcher Weg und welche Richtung richtig oder falsch ist, weiß das „Vision Zero Vehicle“ über genaue und via Cloud permanent aktualisierte Karten sowie über ein Front-Kamerasystem, welches Verkehrsschilder genauso wie Fahrbahnmarkierungen erkennt und interpretiert.
Vision Zero – der Hintergrund
Der Begriff Vision Zero – gemeint sind null Unfälle – stammt ursprünglich aus der Arbeitssicherheit. Mitte der 1990er Jahre wurde der Ansatz von der Schwedischen Straßenverkehrsbehörde für den Verkehr aufgegriffen – vor allem mit dem Ziel null Verkehrstote – und fand schnell auch auf europäischer Ebene Gehör. Vision Zero steht für einen Paradigmenwechsel in der Verkehrssicherheitsarbeit und für ein umfassendes Handlungskonzept, das auf zwei Grundprinzipien basiert. Prinzip eins: Menschen machen Fehler, und das System Verkehr muss mit diesen Fehlern rechnen und sie verzeihen. Aus diesem Prinzip folgt, dass nicht mehr allein die Unfallbeteiligten Verantwortung für Unfälle übernehmen müssen, sondern Unfallvermeidung zu einer gesellschaftlichen Aufgabe wird, die unter anderem auch die Automobilindustrie, die Bauverwaltung und die Versicherungen betrifft. Prinzip zwei: Die Belastbarkeitsgrenzen des menschlichen Körpers werden zum entscheidenden Maßstab; Unfallfolgen dürfen auch im schlimmsten Fall nicht mehr tödlich sein. (ph)
Ein Thema des VWI-Arbeitskreises Automotive.