Unambitionierte Ziele, eine fehlende gesamtstaatliche Strategie, unkoordinierte Förderprogramme und fehlender Mut – aus diesen Gründen hinkt Deutschland beim Ausbau des Glasfasernetzes hinterher. Zu diesem Urteil kommt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Mit Übertragungsraten von unter 25 Mbit pro Sekunde wollten sich die Stadtwerke Neustrelitz nicht länger zufrieden geben: 2016 entschied sich der kommunale Energieversorger, die Residenzstadt auf eigene Faust mit einem schnellen Glasfasernetz auszustatten, 2017 ging das Netz namens Strelix in den ersten Teilen der Stadt in Betrieb – mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 250 Mbit pro Sekunde im Up- und Download. Bis 2020 soll die flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet für die rund 21.000 Neustrelitzer realisiert sein.
Die Entscheider in Neustrelitz wollten nicht länger darauf warten, dass sich ein großer Anbieter für die kleine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern interessiert. Ihnen war schon länger klar, dass die digitale Entwicklung zunehmend die Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen bestimmt – sei es über personalisierte Gesundheits- oder Bildungsangebote, Möglichkeiten zum Home Office oder neue Mobilitätskonzepte. Gerade für den ländlichen Raum bieten digitale Technologien ein enormes Teilhabepotenzial. Sie sind eine große Chance für die Wertschöpfung und die Attraktivität der Regionen, außerdem können sie dabei helfen, den Herausforderungen des demographischen Wandels zu begegnen.
Deutschland hinkt beim Ausbau hinterher
Fast alle OECD-Staaten investieren in Glasfasernetze und bauen Überholspuren für ihre Datenautobahnen. Deutschland hingegen fährt immer noch auf der Kriechspur: Unambitionierte Ziele, eine fehlende gesamtstaatliche Strategie, unkoordinierte Förderprogramme und fehlender Mut, konsequent auf Glasfasertechnologien zu setzen, sind die Hauptursachen für das Hinterherhinken Deutschlands beim Ausbau des Glasfasernetzes. Zu diesem Urteil kommt die Studie “Ausbaustrategien für Breitbandnetze in Europa. Was kann Deutschland vom Ausland lernen?” des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Bei der Versorgung mit Glasfaseranschlüssen belegt Deutschland im OECD-Vergleich Platz 28 von 32.
Zwar hat sich die Versorgung im mittleren Bandbreitenbereich in den letzten Jahren deutlich verbessert, allerdings hapert es bei den zukunftssicheren direkten Glasfaseranschlüssen. Die Europäische Union will bis 2020 jeden zweiten Verbraucher mit 100 Mbit/Sekunde schnellen Leitungen versorgen. Deutschland hat als Ziel lediglich 50 Mbit/s ausgegeben. Da 50 Mbit/s im Idealfall auch mit VDSL Vectoring erreicht werden können, müssen die Netzbetreiber nicht prioritär in Glasfasernetze investieren. Sie können bestehende Kupferleitungen weiter nutzen und müssen nur die Zuführungsstrecken aufrüsten. Ob es sich bei Vectoring um eine gerechtfertigte oder unnötige Brückentechnologie handelt, ist dabei umstritten. „Im Ergebnis führt die Genehmigung der Vectoring-Strategie aber zu einem deutschen Sonderweg und verhindert einen konsequenten Glasfaser-Ausbau“, bemängelt Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung.
Teil der Daseinsvorsorge
Ausländische Beispiele zeigen, wie es besser geht: In Estland und Schweden kümmern sich – genau wie in Neustrelitz – kommunale Versorger um den Glasfaseranschluss ihrer Bürger. Dabei wurde der Gedanke einer Daseinsvorsorge, ähnlich wie bei Energie und Wasser, auf den Breitbandanschluss übertragen. Die Schweiz hat Runde Tische eingerichtet, an denen unter staatlicher Moderation der Ausbau der Glasfasernetze koordiniert wird. Vielfach werden Glasfasernetze nach dem Open-Access-Network-Ansatz aufgebaut, das heißt das Netz wird in kommunaler Regie aufgebaut und dann von verschiedenen Anbietern gegen Entgelt genutzt. Weil keine kurzfristigen Profite erwirtschaftet werden müssen, entsteht Wettbewerb auf der Dienste-Ebene, während auf der Infrastrukturebene langfristig geplant werden kann.
Die Forscher des Fraunhofer-ISI sehen Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen: Neben ambitionierteren nationalen Zielen sollten die aktuellen Ausbauaktivitäten besser koordiniert werden. Der Staat müsse alle Telekommunikationsdienstleister und Netzbetreiber an einen Tisch bringen. Ziel müsse es sein, Doppelverlegungen zu vermeiden und alle Regionen mit Glasfaser zu erschließen, auch die ländlichen Gebiete. Eine große Chance sehen die Autoren der Studie auch in einer engeren Einbindung von Ländern und Kommunen und im Ausbau der Netze durch städtische Versorgungsbetriebe. (ph)