Dr.-Ing. Christoph Pohl
Herr Dr. Pohl, sind Sie ein Entrepreneur?
Auf jeden Fall. Ich gehe mit meiner Firma eta/opt, die ich im Bereich Maschinenbau gegründet habe, ganz klassisch den Entrepreneurweg. Wenn man als Gründer startet, muss man erstmal herausfinden, was der Markt will und ob das eigene Produkt diesen Bedarf erfüllen kann – Unternehmen, die schon länger auf dem Markt agieren, haben da einen Wissensvorsprung. Als Gründer haben Sie zwar ein Kundenproblem erkannt und eine Lösung dafür entwickelt, aber es ist noch offen, wie genau das Produkt am Ende aussieht, wie es sich in bestehende Umgebungen integrieren lässt und welche wichtigen Details eventuell noch nicht bedacht wurden. Im Gegensatz zu etablierten Unternehmen hat man zudem in dieser Phase keinen Grundumsatz, auf den man sich verlassen kann; vielmehr muss man sich Geld besorgen.
Wollten Sie eigentlich schon immer lieber selbstständig arbeiten?
Mir wurde schon sehr früh klar, dass ich mich nicht gut unterordnen kann – es fällt mir schwer, unter der Flagge von jemandem zu segeln und fremde Projekte und Ziele zu vertreten. Außerdem treffe ich gerne Entscheidungen und habe auch keine Angst davor, auch mal falsche Entscheidungen zu treffen und dann auch dafür gerade zu stehen. Konkret wurde für mich der Weg zur Gründung zwar erst während der Promotion, als ich gemerkt habe, dass man aus meiner Produktidee auch wirklich eine Firma aufbauen könnte. Aber dann war relativ schnell klar, dass ich etwas eigenes machen und dafür auch die Führung und die Verantwortung übernehmen will.
Welche Eigenschaften sind aus Ihrer Sicht für Gründer besonders wichtig?
Ganz klar: Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen, auch wenn es sich abgedroschen anhört. Da sind zum einen die Arbeitszeiten: Ich arbeite jeden Tag 14 Stunden; außer sonntags, da sind es nur elf. Das liegt daran, dass Sie als Start-up jede Chance nutzen und um jeden Auftrag kämpfen müssen – wenn Sie dann Ihren Stundenlohn ausrechnen, kommen Ihnen die Tränen. Außerdem: Man arbeitet ja immer auf irgendetwas hin, man steckt sich zum Beispiel ein Entwicklungs- oder ein Umsatzziel. Dahinter steckt der Gedanke: Wenn ich dieses Ziel erreicht habe, nimmt der Druck ab, ich kann entspannt meine Lohnkosten stemmen und so weiter. Und so ist es eben nicht. Vielmehr ist es eine lange Zeit so, dass viele Sachen nicht funktionieren, dass man Geld und Kapazitäten verbrennt. In der Summe muss natürlich mehr klappen als schiefgehen. Aber man muss mit dem Gedanken leben können, dass man viele Wege umsonst geht. Gleichzeitig muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen: Ich mache das alles für mich, ich kann gestalten und aus einer Idee einen Erfolg machen; das ist mein Ding, mein Baby.
Hat Ihr Wirtschaftsingenieur-Studium Sie gut auf diese Herausforderungen vorbereitet?
Das wesentliche Rüstzeug stammt ganz klar aus dem Studium. Natürlich müssen Sie sich immer wieder in neue, spezielle Bereiche einarbeiten, ob es jetzt im Bereich Thermodynamik um so etwas geht wie Verdichtung oder um ein Thema im Bereich Betriebsführung. Aber speziell das Wirtschaftsingenieur-Studium hat mir viel gebracht. Ich arbeite ja nicht nur in meiner Firma, sondern auch als Dozent an der Uni Kassel, außerdem bin ich Studienleiter an der Wilhelm-Büchner-Hochschule. Sie merken einfach einen absoluten Qualitätsunterschied zwischen einem reinen Ingenieur und einem Wirtschaftsingenieur. Die Fähigkeit, auch mal querzudenken, ist bei Wirtschaftsingenieuren einfach stärker ausgeprägt. Meiner Erfahrung nach sind Ingenieure zum Beispiel im Bereich Entwicklung oft zu technikverliebt: Nachher haben Sie eine eierlegende Wollmilchsau, die man nicht verkaufen kann – technisch astrein, aber am Markt vorbei.
Sind Wirtschaftsingenieure vor diesem Hintergrund für die Gründer- oder Start-up-Szene besonders gut geeignet?
Absolut. Bei Wirtschaftsingenieuren hat oft bereits das Studium ein gewisses Gründer-Milieu, weil man sehr früh lernt, über den Tellerrand zu blicken. Und das führt tatsächlich dazu, dass man leichter Ideen entwickeln kann, weil man Ansätze und Lösungen zwischen unterschiedlichen Anwendungsbereichen übertragen und passend weiterdenken kann. Hinzu kommt die Vernetzung, die der VWI für Studierende möglich macht. Ich versuche beispielsweise, meine Leute aus diesem Umfeld zu rekrutieren und profitiere auch selbst immer wieder von Kontakten, die ich im oder über den VWI geknüpft habe. Netzwerken ist heutzutage das A und O.
Sind Start-ups aus Ihrer Sicht wegen ihrer Vielfalt und der flachen Hierarchieebenen die interessanteren Arbeitgeber?
Natürlich bilden sich auch bei jungen Unternehmen Bereiche und Strukturen heraus. In meinem Unternehmen beispielsweise arbeiten jetzt 13 Köpfe. Aber am Anfang hat unser Produktmanager vor allem die Technik gemacht, also auch mit uns die Exponate aufgebaut, und im Moment liegt sein Schwerpunkt definitiv im Vertrieb. Die Aufgaben wandeln sich also gerade bei einem Start-up immer wieder während des Wachstumsprozesses, und entsprechend wandlungsfähig müssen auch die Leute sein. Aber zwei Jahre bei einem Start-up bringen mindestens so viel Erfahrung wie zehn Jahre bei einem etablierten Unternehmen, weil man unglaublich viel mitbekommt.
Und was müssen Absolventen zusätzlich zum Fachwissen mitbringen?
Beschäftigte bei Start-ups müssen eine gewisses Unsicherheit aushalten können – diese Arbeitsplätze sind nunmal nicht so sicher wie bei einem etablierten KMU oder einem Konzern. Bei uns weiß jeder der 13 Köpfe, wie lange das Geld noch reicht, welche Probleme wir haben und um welchen Auftrag wir gerade kämpfen. Manche Leute verschreckt eine solche Transparenz. Andere fiebern mit, und so muss es auch sein bei einem Start-up. Wenn Sie bei einem großen Automobilisten einsteigen, ist Ihr monatliches Gehalt sicher, aber die Strukturen sind eher starr, auch was die Aufstiegsmöglichkeiten angeht. Bei einem Start-up können Sie dagegen zeitgleich zum Wachstum der Firma auf der Leiter nach oben fallen. Es hat also beides Vor- und Nachteile. Aber die haben Sie schon bei der Frage: KMU oder Konzern. Meine Praktika haben mir gezeigt, dass es in kleineren Strukturen mehr auf jeden Einzelnen persönlich ankommt, außerdem sind Sie viel näher an den Menschen dran, die den Hut aufhaben und wirklich die Unternehmensidentität verkörpern. Und bei Start-ups ist das alles nochmal stärker gegeben – die Risiken, aber auch die Chancen.
Zur Person
Dr. Christoph Pohl stammt aus Fritzlar, ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Von 2003 bis 2008 studierte er in Kassel Wirtschaftsingenieurwesen und Betriebswirtschaft, in dieser Zeit gründete er auch die VWI-Hochschulgruppe. Nach einem Jahr bei Rheinmetall in Kassel arbeitete er von 2009 bis 2013 für die Uni Kassel und bereitete die Promotion vor. Nach seinem Sieg beim Promotion-Nordhessen-Wettbewerb gründet er 2015 die eta/opt GmbH. Das Start-up mit Sitz im Sciencepark Kassel bietet Know-how im Bereich der Substitution von Druckluft und entwickelt effiziente Produktlösungen für die Industrie in der Antriebs- und Handhabungstechnik; eta – ein Buchstabe aus dem griechischen Alphabet – steht für den Wirkungsgrad, opt für Optimierung.
Ein Thema des Arbeitskreises Karriere & Beruf. Die Fragen stellte Petra Hannen.