Der digitale Umbruch trifft nicht nur die Beschäftigten in der Produktion, sondern auch die Angestellten in Entwicklung und Verwaltung. Welche neuen Formen der Arbeitsorganisation dabei entstehen und welche Folgen dies für die Beschäftigten hat, hat das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erforscht.
Die Arbeitswelt steht an einem Scheideweg. Das ist das Fazit des ISF München, das im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung die Bedeutung des digitalen Umbruchs für Angestellte in Entwicklung und Verwaltung untersucht hat (Lean und agil im Büro: Neue Formen der Organisation von Kopfarbeit in der digitalen Transformation). Einerseits droht den Forschern zufolge die Organisation von Kopfarbeit an einem digitalen Fließband, andererseits zeichnen sich neue Möglichkeiten für mehr Selbstbestimmung und ein Empowerment der Beschäftigten ab. „Die Übertragung von Lean-Konzepten aus der Fertigung und der Einsatz von agilen Methoden aus der Software-Entwicklung sind zu einem neuen strategischen Trend in den Angestelltenbereichen geworden“, sagt ISF-Vorstandsmitglied PD Dr. Andreas Boes.
Der Studie zufolge zeichnet sich eine grundlegende Wende in der Organisation von Arbeit und Wertschöpfung in den Büros der Angestellten ab. Die Software-Industrie steht demnach exemplarisch für diese Entwicklung: Agile Methoden, vor allem „Scrum“, kommen dort schon länger zum Einsatz und ersetzen das bürokratisch organisierte Wasserfallmodell mit seinen langen Planungs- und Projektlaufzeiten.
„Wir haben es hier mit einem neuen industrialisierten Entwicklungsmodell zu tun, das sich in der Softwareindustrie flächendeckend durchsetzt und zunehmend auch in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen klassischer Industrie-Unternehmen zum Einsatz kommt“, so Boes. Das Prinzip, auch Kopfarbeit zu standardisieren, einer zeitlichen Taktung zu unterwerfen und sowohl das Expertenwissen als auch die individuellen Arbeitsergebnisse für alle transparent zu machen, würden mittlerweile immer mehr Unternehmen verfolgen.
Dieser Wandel, so ein weiteres Ergebnis der Studie, macht auch vor den Verwaltungsbereichen nicht Halt. Die Arbeit in den Personal- und Finanzabteilungen oder im Vertrieb werde „immer standardisierter und prozessorientierter“, erklären die ISF-Experten und -Expertinnen. Dass ihre Arbeit mit dem Ziel, mehr Effizienz und gleichzeitig weniger Kosten zu erzeugen, zunehmend rationalisiert und messbar wird, gehe an den Beschäftigten nicht spurlos vorüber. Die intensive Teamarbeit, der Wissensaustausch und die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen, würden zwar durchaus auf Zustimmung stoßen. Bei Betroffenen komme es jedoch auch zu Dauerstress, zu einem Gefühl, unter ständigem Rechtfertigungsdruck zu stehen und keinen Einfluss mehr auf die eigenen Arbeitsabläufe zu haben.
„Die Reaktionen der Beschäftigten zeigen, dass es dringenden Handlungs- und Gestaltungsbedarf durch Politik und Gesellschaft gibt“, erklärt Arbeitsforscher Boes. Gegenwärtig stehe die Arbeitswelt an einem Scheideweg zwischen Konzepten, die Kopfarbeit wie am Fließband organisierten, und Strategien, die darauf setzten, das Teams und Beschäftigte in die Lage versetzt würden, selbstständig zu agieren, kollektiv zu lernen und in Eigenverantwortung Innovationen zu generieren. „Das Empowerment und die Handlungsfähigkeit der Menschen zu stärken ist aus unserer Sicht die zentrale Leitorientierung für eine erfolgreiche Gestaltung der digitalen Arbeitswelt“, betont Boes. (ph)
Ein Thema des Arbeitskreises Produktion & Logistik.