Autobauer

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Autobauer investieren wenig in automobile Zukunftsmärkte

Bei internationalen Investitionen in automobile Zukunftsmärkte sind keineswegs die traditionellen Autobauer führend. Statt dessen stecken vor allem Technologieunternehmen und Finanzinvestoren ihr Geld in diesen Bereich des Mobilitätssektors. Das zeigt die Analyse „Investitionen im Zukunftsmarkt Mobilität“ der Managementberatung Bain & Company. Demnach haben in den vergangenen fünf Jahren Tech-Spezialisten weltweit insgesamt rund 100 Milliarden US-Dollar in automobile Zukunftsmärkte investiert, bei Finanzinvestoren waren es 74 Milliarden US-Dollar. Die traditionellen Autobauer kamen der Analyse zufolge auf elf Milliarden US-Dollar und die Zulieferer auf 37 Milliarden US-Dollar.

Insgesamt sind laut Bain & Company in den vergangenen fünf Jahren 292 Milliarden US-Dollar in automobile Zukunftsmärkte geflossen – mehr als ein Drittel davon in den Bereich autonomes Fahren, gefolgt von Shared Mobility, Elektroantrieben und Konnektivität. 197 Milliarden US-Dollar des Transaktionsvolumens entfielen dabei auf Fusionen und Übernahmen, 95 Milliarden auf Beteiligungen an privaten Finanzierungsrunden.

Auch regional gab es Schwerpunkte: Im Fokus der Investoren standen insbesondere Unternehmen in den USA und China, die insgesamt drei Viertel der Gelder anzogen. Deutschland kam mit rund neun Milliarden US-Dollar auf gerade einmal drei Prozent der Gesamtinvestitionen.

Wie das Beratungsunternehmen ausführt, haben sich die Unternehmen der Automobilbranche in den vergangenen fünf Jahren überwiegend in den Bereichen Shared Mobility und autonomes Fahren engagiert. Vergleichsweise gering sei das Engagement der Hersteller hingegen bei Elektroantrieben und Konnektivität gewesen. Die Zulieferer wiederum haben demnach vor allem in Elektroantriebe und autonomes Fahren investiert.

Die Automobilbranche steht laut Bain vor massiven Veränderungen. Die fünf wesentlichen Trends bezeichnen die Analysten als die „5 Races“:

  • Real Customer Focus (echter Kundenfokus)
  • Autonomous Driving (autonomes Fahren)
  • Connectivity (Konnektivität)
  • Electric Powertrain (elektrischer Antrieb)
  • Shared Mobility (gemeinsam genutzte Mobilität)

Bain geht davon aus, dass führende Fahrzeughersteller mit einer ausbalancierten Mischung aus Zukäufen, Beteiligungen, Partnerschaften sowie eigener Forschung und Entwicklung alle fünf Zukunftsbereiche adäquat abdecken können. Die besten Unternehmen werden demnach ihre Aktivitäten und Investitionen auf jene Bereiche konzentrieren, die auf ihre Gesamtstrategie einzahlen und ein Alleinstellungsmerkmal bringen. Auch für die Zulieferer ist Differenzierung entscheidend. Vorreiter heben sich demnach von der Konkurrenz beispielsweise durch ihre Innovationsführerschaft bei Produkten und Dienstleistungen, durch beste Fertigungsprozesse und -verfahren oder durch Kostenführerschaft ab.

„Auch wenn Technologieunternehmen bei den Investitionen heute mit großem Abstand vorne liegen, ist das Rennen noch nicht entschieden“, heißt es bei Bain. Ausschlaggebend sei am Ende das Gesamtpaket aus eigenen Fähigkeiten und strategischen Partnerschaften mit den jeweils führenden Unternehmen. Autohersteller und Zulieferer müssten ihre Aktivitäten jedoch noch deutlich intensivieren, um nicht abhängt zu werden.

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DeWIT 2019 – jetzt anmelden!

Im November 2019 geht der Deutsche Wirtschaftsingenieurtag, der Kongress für Entscheider und Vordenker, in seine 15. Runde. Nach der Mitgliederversammlung am 7. November um 17 Uhr beginnt der DeWIT 2019 mit einem Abendempfang. Am 8. November, dem Kongresstag, sind in den Räumlichkeiten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften spannende Vorträge und Workshops rund um die Themen „production, mobility and people“ geplant.

DeWIT 2019: production, mobility and people

Thematischer Schwerpunkt ist der digitale Wandel in all seinen Facetten. Unter anderem anhand von Innovationen in der Produktion und in der Logistik wollen die Teilnehmenden die drängenden Fragen nach zukünftigen und zukunftsfähigen Konzepten erörtern. Digitale Produktionslösungen gehören ebenso zu den Themen wie der digitale Informationsaustausch, digitale Infrastruktur und der Komplex Beyond digitalization – business goals? Außerdem werden die Teilnehmenden diskutieren, wohin bei Mobilität und Logistik die Reise geht und welche neuen Ideen und Innovationen die Branche bewegen. Unter dem Stichwort ‘people’ macht zudem die Arbeitswelt von morgen einen wesentlichen Teil des Kongressprogramms aus. Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Wie wird dort die Arbeit organisiert? Welche Technologien unterstützen dabei?

Interdisziplinär: Die Top-Speaker

Guido Beermann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, wird eine Keynote zum Thema „Politische Rahmenbedingungen im digitalen Wandel“ halten. Weitere Top-Speaker sind Gunther Adler, früher Staatssekretär im Bundesinnenministerium und heute Geschäftsführer Personal der Autobahn GmbH des Bundes, Robert Teschendorf von Arvato Systems, dem Preisträger des Digital Leader Award 2018, sowie die Sozialunternehmerin und Autorin Joana Breidenbach.

Zum DeWIT 2019 erwartet der VWI Teilnehmende mit Berufspraxis sowie Studierende – eine spannende und inspirierende Mischung, welche die Möglichkeit zur fachlichen Weiterbildung bietet, aber auch zum Netzwerken über Generationengrenzen hinweg. Im Rahmen des DeWIT 2019 wird der VWI außerdem seine aktuelle Berufsbilduntersuchung präsentieren und die Graduation Awards 2019 verleihen.

Interessiert? Alle wichtigen Informationen zu Programm und Teilnahme finden Sie auf der Kongress-Homepage des VWI sowie auf der Xing-Veranstaltungsseite.

Gründergeist

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Gründergeist auf dem Rückzug?

KfW Research hat den Wunsch nach beruflicher Selbständigkeit in Deutschland untersucht. Der Analyse zum Thema Gründergeist zufolge wären nur noch 25 Prozent der Beschäftigten gerne ihr eigener Chef – ein Rekordtief: Im Jahr 2000 lag der Anteil noch bei 45 Prozent und ging dann zunächst allmählich und nach der Finanzkrise deutlich zurück.

Die Zahl der realisierten Existenzgründungen sinkt den KfW-Forschenden zufolge ebenfalls seit Jahren. Als Hauptgrund nennt die Analyse den nun schon außergewöhnlich lange Aufschwung am Arbeitsmarkt. Da es viele Beschäftigungsmöglichkeiten zu attraktiven Konditionen gebe, sei die eigene berufliche Selbstständigkeit weniger verlockend. Auch die demografische Entwicklung spiele für den schwindenden Gründergeist eine Rolle: Da mit steigendem Lebensalter häufig die familiäre Gebundenheit zunehme und auch die finanzielle Abhängigkeit von einem Arbeitgeber, nehme das Gründungsinteresse in der Regel parallel zu dieser Entwicklung ab. In einer im Trend alternden Gesellschaft wie Deutschland schlage sich das in einem kontinuierlich sinkenden Gründungsinteresse nieder.

Darüber hinaus hat der KfW-Analyse zufolge offenbar die Finanzkrise die Einstellung der Menschen zur Selbstständigkeit negativ beeinflusst – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen europäischen Ländern und auch in den USA. Zentrale Aspekte seien die Angst vor dem Scheitern, hinter der hauptsächlich die Sorge vor finanziellen Belastungen stecke, sowie allgemeine Krisenängste.

Jüngere Beschäftigte verfügen über mehr Gründergeist

Als Lichtblick für den Gründergeist in Deutschland bezeichnet die Analyse die Entwicklung bei den Jüngeren, bei denen der Wunsch nach Selbstständigkeit in den vergangenen beiden Jahren wieder stärker geworden sei: Frei von Sachzwängen hätte sich 2018 gut jeder Dritte unter 30 für die berufliche Selbstständigkeit entschieden, so KfW Research.

„Deutschland braucht mehr unternehmerischen Nachwuchs, um innovativ und international wettbewerbsfähig zu bleiben. Und auch nicht zuletzt deshalb, weil in den kommenden Jahren tausende mittelständische Firmen zur Nachfolge anstehen“, sagt Georg Metzger, Gründungsexperte bei KfW Research: „Wir können es uns nicht leisten, Erfolg versprechende Potenziale zu verschenken.“

Wissenskapital

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Mehr Investitionen in Wissenskapital notwendig

Bei Investitionen in Wissenskapital hinken deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich hinterher. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Rahmen des Schwerpunkts „Produktivität für inklusives Wachstum“ der Bertelsmann Stiftung. Diese Studie vergleicht Einsatz und Modernität von Wissenskapital in Deutschland mit anderen westeuropäischen Ländern und den USA. Ergebnis: Deutsche Unternehmen investieren vergleichsweise wenig in Wissenskapital, und das gefährdet ihre Wettbewerbsfähigkeit. Sie müssten mehr in Forschung und Entwicklung (FuE) und noch viel mehr in andere immaterielle Güter wie Software, Organisation oder Weiterbildungen ihrer Belegschaft investieren.

Wissenskapital: Wissen was und wie produziert wird

Unter Wissenskapital verstehen die Studienautoren alles, was dazu dient, das Wissen zu generieren, was und wie produziert wird. Von der amtlichen Statistik wird demnach nur ein Teil dieses immateriellen Kapitals erfasst: FuE, Software und Lizenzen. Das Autorenteam Heike Belitz und Martin Gornig haben in ihrer Untersuchung auch andere Komponenten des Wissenskapitals berücksichtigt, beispielsweise Marktforschung, Werbung, Weiterbildungen, Design- und Organisationskompetenzen.

„Schon wenn man Deutschland mit anderen Ländern auf Basis der amtlichen Definition von Wissenskapital vergleicht, ist das Bild nicht besonders schmeichelhaft: Deutschland hat seine Spitzenposition in der Industrie längst eingebüßt, bei den Dienstleistungen ist es Schlusslicht“, sagt Heike Belitz. Das Bild verschlechtere sich weiter, wenn man alle Komponenten von Wissenskapital einbeziehe. Aus Sicht von Martin Gornig „haben es gerade die in den vergangenen Jahren so erfolgreichen deutschen Industrieunternehmen versäumt, ausreichend Erträge in neues Wissen zu investieren – zum Beispiel die Autoindustrie, die nur zögerlich in die Entwicklung neuer Antriebssysteme und Mobilitätskonzepte investiert.“

Investitionen in Wissenskapitalstock zu gering

Laut Studie ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist nicht nur entscheidend, wie viel Wissenskapital vorhanden ist, sondern auch die Modernität und Qualität des eingesetzten Kapitals. Um die deutschen Unternehmen in diesem Punkt mit ihren ausländischen Wettbewerbern zu vergleichen, haben Belitz und Gornig untersucht, in welchem Zeitraum sich der Wissenskapitalstock in den jeweiligen Ländern erneuert. In Deutschland ist das nach drei bis vier Jahren der Fall, in den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich sind es um die drei Jahre, in Finnland, Österreich und den Niederlanden sogar weniger als drei Jahre. Dort ist also der Wissenskapitalstock am modernsten.

Vor diesem Hintergrund halten die Autoren eine Investitionsoffensive in Wissen für notwendig, in der Industrie und bei Dienstleistern. Der Fokus der Politik auf FuE ist aus ihrer Sicht dabei zu eng, Unternehmen müssten auch andere Komponenten wie Organisationslösungen oder Weiterbildungen bedenken. Wichtig seien zudem passende Rahmenbedingungen. Ein Ansatz könnte den Autoren zufolge sein, besonders solche Kooperations- und Netzwerkprojekte öffentlich zu fördern, die verschiedene Arten von Wissenskapital gleichzeitig umfassen.

Wertschöpfungsketten

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Wertschöpfungsketten vor radikalen Veränderungen

Mit technischen und sozialen Innovationen, die Wertschöpfungsketten in den kommenden Jahren radikal verändern könnten, hat sich ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) befasst. Der Bericht des Radical Innovation Breakthrough Inquirer (RIBRI) hat 100 mögliche Innovationsdurchbrüche in Themenfeldern wie Künstlicher Intelligenz, Robotik oder Biomedizin identifiziert. Zu diesen Durchbrüchen zählen technische Entwicklungen wie biologisch abbaubare Sensoren oder 4D Printing ebenso wie gesellschaftliche Konzepte wie das Grundeinkommen oder die autofreie Stadt. Die Studie gibt zudem Hinweise, wie sich die EU darauf vorbereiten kann. Dazu gehören auch Schlussfolgerungen für die europäische Forschungs- und Innovationspolitik:

  • Ein großer Teil der Radical Innovation Breakthroughs (RIBs) hat einen starken Bezug zu Künstlicher Intelligenz (KI). Innovationen wie Emotionserkennung, Schwarmintelligenz, Spracherkennung und Computational Creativity werden in allen Wirtschaftsbereichen – von der Landwirtschaft über Gesundheit bis zur Kreativwirtschaft – Wertschöpfungsketten drastisch verändern. Europa sollte sich daher für die erwartete Welle von KI-basierten Innovationen gut positionieren und frühzeitig Wege suchen, die daraus entstehenden Potenziale zu nutzen und gleichzeitig den Risiken entgegenzuwirken.
  • Mehr als 40 Technologien, die heute nur gering ausgereift sind, werden bis 2038 in einer signifikanten Zahl von Anwendungen eingesetzt werden. Beispiele sind neuromorphe Chips, 4D Printing oder Hyperspektrale Bildanalyse. Eine kritische Auseinandersetzung mit möglichen Anwendungen dieser Technologien, beispielsweise für militärische Drohnen und Methanhydrat-Abbau, ist wichtig. Auch die damit möglicherweise verbundenen Disruptionen von Wertschöpfung muss die Politik im Auge behalten. Während Europa in einigen dieser hochdynamischen Bereiche wie etwa Bioplastik oder Techniken zur Nutzung von Marine- und Gezeitenkraft gut aufgestellt ist, liegt es in anderen wie der Nutzung der Biolumineszenz und dem Energy Harvesting zurück.
  • Im Windschatten der Digitalisierung erwächst eine neue Welle des Wandels rund um Biotechnologie, Gesundheit und Nachhaltigkeit mit noch unklaren Konturen. Die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG) sind hier wichtige Treiber. Entscheidend wird sein, diese nächste Welle des Wandels gut zu verstehen und sicher zu stellen, dass geeignete Rahmenbedingungen und flankierende soziale Innovationen zeitnah zur Verfügung stehen.
  • Künftige Wertschöpfungsketten werden in gleichem Maße von technischen und sozialen Innovationen beeinflusst werden, beispielsweise die Entwicklung alternativer Währungen, Gamification, lokale Nahrungsmittelkreisläufe und die verschiedenen Varianten eines bedingungslosen Grundeinkommens.
  • Einige der radikalen Innovationen wie etwa Bioelektronik, Pflanzenkommunikation und künstliche Photosynthese weisen noch einen sehr geringen Reifegrad auf. Gleichzeitig können sich einige schon etwas reifere Technologien wie Hydrogele und Carbon Nanotubes als noch stärker disruptiv erweisen als erwartet. Hier ist ein koordiniertes Vorgehen der Innovations- und Industriepolitik gefordert.

Ziel der Studie ist dem Forscherteam zufolge unter anderem, mögliche Innovationspfade frühzeitig zu diskutieren und anzustoßen, damit möglichst viele Menschen in der EU von technischen und sozialen Durchbrüchen profitieren.

Klaus Endress

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Sommerinterview: Klaus Endress, Endress+Hauser

Klaus Endress wurde 1948 geboren und hat ein Studium als Diplom-Wirtschaftsingenieur an der Technischen Universität Berlin absolviert. Nach Tätigkeiten für verschiedene US-Firmen trat er 1980 ins väterliche Unternehmen ein, dessen Leitung er 1995 übernahm. Als CEO prägte Klaus Endress über fast zwei Jahrzehnte die Entwicklung der Endress+Hauser Gruppe – die Ausrichtung auf Branchen, der Aufbau eines globalen IT- und Produktionsnetzwerkes sowie der Ausbau des internationalen Vertriebs tragen seine Handschrift. 2014 übergab er das operative Geschäft an Matthias Altendorf und wechselte als Präsident in den Verwaltungsrat.

Herr Endress, warum haben Sie Wirtschaftsingenieurwesen studiert?
Weil das Studium die technischen Fächer mit den Themen der Ökonomie verbindet. Unsere Welt besteht nicht allein aus Technologie oder aus Zahlen… Man muss beides in genügender Tiefe kennen, um das Ganze zu verstehen. Alles hängt mit allem zusammen!

Welche Skills, die Sie im Studium erlernt haben, waren für Ihren Werdegang besonders wichtig?
Fertigungstechnik und Informatik waren sehr wichtig für meine spätere Tätigkeit – auch Elektrotechnik, obwohl ich das Fach nie geliebt habe. Geld- und Außenwirtschaft haben mir geholfen, ein gutes Verständnis der finanziellen Zusammenhänge zu bekommen. Aber vor allem das Wissen aus den Bereichen Fertigungstechnik und Informatik, auch über Prozesse und Logistik, konnte ich gut anwenden in unserem Unternehmen. Auf diesen Gebieten waren wir damals noch nicht stark. In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit den Interdependenzen der kundenspezifischen Einzelfertigung befasst – ein sehr komplexes Thema, das ich von der Bestellung bis zur Lieferung durchdrungen habe. Die IT war zu dieser Zeit, Ende der 70er Jahre, noch gar nicht leistungsfähig genug, um das alles abzubilden. Aber heute haben wir Prinzipien wie One-Piece-Flow fest in unseren Produktionen verankert. Dafür habe ich mit meiner Arbeit gewissermaßen die Grundlage gelegt.

Welche Bedeutung hat für Sie als Wirtschaftsingenieur der Faktor Interdisziplinarität?
Die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszusehen, hat mir immer enorm geholfen. Als Unternehmer muss man immer wieder Entscheidungen treffen, ohne wirklich Ahnung von einem Thema zu haben. Dann muss man auf das Wissen und die Einschätzung von anderen vertrauen. Deshalb: Je breiter man aufgestellt ist, desto besser – und das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens vermittelt genau dieses breite Fundament. Auf einer solchen Grundlage kann man Entscheidungen mit größerer Sicherheit treffen. Deshalb würde ich jederzeit wieder Wirtschaftsingenieurwesen studieren!

Sind aus Ihrer Sicht Absolventen und Professionals mit einem weiten Horizont momentan besonders gefragt?
Wirtschaftsingenieure werden immer gefragt sein – eben weil es auf Leitungsebene den interdisziplinären Blick braucht; Menschen, die sehen, was links und rechts passiert, die erkennen, was kommt und wichtig wird. Wichtig ist, dass die Absolventinnen und Absolventen in allen Themen auch genügend Tiefe haben.

Stichwort weiter Horizont: Welches Thema jenseits des eigenen Geschäftsfeldes verfolgt Ihr Unternehmen gerade mit besonderer Aufmerksamkeit?
Unser Unternehmen ist in der Mess- und Automatisierungstechnik zu Hause. Traditionell sind unsere Geräte in großen verfahrenstechnischen Anlagen installiert. Über die vergangenen Jahre haben wir uns beispielsweise stark mit der Biotechnologie befasst. Immer mehr Produkte werden biotechnologisch hergestellt. Dort sind die Verfahren, die Herstellungsbedingungen ganz andere, auch die Mengen… Denken Sie nur an personalisierte Medizin. Deshalb wollten wir wissen, was in diesem Bereich wichtig ist, was und wie es gemessen wird. Unsere strategische Ausrichtung auf moderne Analyseverfahren ist eine Konsequenz hieraus, ebenso der Schritt in den Markt für Labormesstechnik. Ein anderer Bereich ist natürlich die Digitalisierung. Hier erkunden wir beispielsweise die Möglichkeiten der Kundennähe auf digitalen Plattformen mit einem Start-up in Berlin.

Von welcher technischen und/oder gesellschaftlichen Entwicklung erwarten Sie in den kommenden fünf bis zehn Jahren ein die Zukunft besonders prägendes Potenzial?
Ganz eindeutig durch die Digitalisierung. Es wird dadurch zu einer völligen Veränderung des Dienstleistungssektors kommen. Dieser Prozess ist schon seit Jahren im Gange. Denken Sie nur an die Art, wie wir heute Bankgeschäfte erledigen oder Reisen buchen… Das hat sich in nur zehn Jahren komplett verändert! Diese Entwicklung wird weitergehen. Sie wird alle Dienstleistungen erfassen, die nicht direkt an Kunden erbracht werden. Diese Umwälzungen werden ähnlich gravierend sein wie durch die erste industrielle Revolution!

 

In den Sommerinterviews befragt der VWI in loser Folge Wirtschaftsingenieure und Wirtschaftsingenieurinnen, die wichtige Positionen in Industrie und Lehre innehaben, zu ihrem Blick auf das Berufsbild.

Building Information Modeling

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Bauindustrie setzt auf Building Information Modeling

79 Prozent der Bauunternehmen wollen in den kommen Jahren Building Information Modeling (BIM) nutzen. Mit dieser als ‘digitales Planen und Bauen’ bezeichneten Methode wird das Planen, Ausführen und Bewirtschaften von Gebäuden mit Hilfe von digitalen Lösungen optimiert. Aber 63 Prozent halten das digitale Bauen für technisch anspruchsvoll, und nur 18 Prozent haben bereits eine ausgereifte Strategie für das digitale Bauen entwickelt. Dabei rechnet jedes zweite Unternehmen damit, dass sich das Geschäftsmodell durch BIM stark wandeln wird. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie „Digitalisierung der deutschen Bauindustrie“, für die PwC 100 Unternehmen aus den Bereichen Planung & Design, Bau und Anlagenbau befragt hat.

Wie die Studie zeigt, hat mehr als die Hälfte der deutschen Bauunternehmen bereits Erfahrungen mit Building Information Modeling gesammelt. Fast jeder Zweite bezeichnet BIM als positive Erfahrung (46 Prozent) und Arbeitserleichterung (44 Prozent). Dass digitales Bauen zu effizienteren Arbeitsabläufen führt, finden 39 Prozent der Befragten. Je 36 Prozent nennen die kürzeren Planungs- und Bauzeiten sowie eine bessere Zusammenarbeit mit allen Akteuren als zentrale Vorteile.

Building Information Modeling: Hürden

Die größten Hürden für das digitale Bauen sind nach Einschätzung der Unternehmen fehlende Fachkräfte (52 Prozent) und hohe Investitionen (48 Prozent). Außerdem können mehr als drei Viertel der Befragten die Kosten der technischen Implementierung von BIM nicht einschätzen. Um die Einsatzmöglichkeiten von BIM in Deutschland zu verbessern, fordern die Befragten den schnelleren Ausbau der digitalen Infrastruktur. Aber auch die finanzielle Förderung durch den Bund und mehr Anreize seitens der Auftraggeber für eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit sehen sie als sehr wichtig an, zudem mehr Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Einig sind sich die Befragten darin, dass das digitale Bauen die Branche künftig prägen wird.

„In Zukunft werden Unternehmen aus der Baubranche am digitalen Bauen kaum mehr vorbeikommen“, sagt auch Christian Elsholz, Director bei PwC im Bereich Capital Projects & Infrastructure: „Ab 2020 wird BIM bei allen neuen öffentlichen Infrastrukturprojekten in Deutschland verbindlich. Schon heute fordern viele Ausschreibungen den Einsatz von BIM.“ Das deckt sich mit den Erfahrungen der Umfrageteilnehmer: Rund 60 Prozent geben an, dass BIM in den vergangenen zwölf Monaten in Ausschreibungen gefordert war, durchschnittlich bei zehn Prozent der Projekte. In acht von zehn Ausschreibungen seien darüber hinaus weitere Technologien gefragt gewesen, vor allem 3D-Druck (40 Prozent) sowie Cloud-Technologie und 3D-Laserscanning (jeweils 34 Prozent).

Heiko von der Gracht, Professur Zukunftsforschung

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Sommerinterview: Heiko von der Gracht, Steinbeis-Hochschule

Prof. Dr. habil. Heiko von der Gracht ist einer von nur zwei Lehrstuhlinhabern für Zukunftsforschung in Deutschland. An der School of International Business and Entrepreneurship der Steinbeis-Hochschule (SIBE) erforscht er seit 2019 die Zukunft der Lebens- und Arbeitswelt und lehrt in den berufsintegrierten Master- und Promotionsprogrammen. Seit 2013 verantwortet Professor von der Gracht zudem bei der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Zukunftsstudien, zuletzt zu den Themen: „Künstliche Intelligenz 2040“, „Future-Proof Procurement 2035+“ und „Die Arbeitswelt von morgen“. Von der Gracht hat an der Hochschule Niederrhein und der Fontys Hochschule in den Niederlanden Wirtschaftsingenieurwesen studiert.

Herr von der Gracht, warum haben Sie Wirtschaftsingenieurwesen studiert?
Daran ist mein Vater schuld. Kurz nach dem Abitur, als ich wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen nicht so recht wusste, wohin mit mir, sagte er: „So wie ich dich kenne, liegen dir insbesondere Planung, Strukturierung und Organisation. Wirtschaftsingenieurwesen fördert diese Interessen und Begabungen am besten. Denn dieses Studium ist hoch interdisziplinär.“ Es war auch für kurze Zeit Jura im Gespräch. Aber wie die Geschichte zeigt: Mein Vater hatte Recht und ich würde auch heute wieder denselben Weg gehen.

Welche Skills, die Sie im Studium erlernt haben, waren für Ihren Werdegang besonders wichtig?
Interdisziplinär denken und handeln zu können, ist in meinen Augen ein unschlagbarer Vorteil. Die Welt, in der wir leben und arbeiten, ist zunehmend komplexer und dynamischer. Gerade der Rückblick auf die letzten Jahre zeigt doch, dass Branchengrenzen weiter einreißen und wir eine Konvergenz der Technologien erleben.
Mein Erststudium war auf ideale Weise generalistisch – spezialisieren kann man sich hinterher immer noch. Interdisziplinarität ist exakt jene Kompetenz, die ich heute einsetze und in meinen Zukunftsstudien ausspiele. Wenn ich ein konsistentes und plausibles Szenario für die Strategie oder das Innovationsmanagement aufstelle, dann muss ich eben sämtliche Aspekte der Zukunft in Interdependenzen und Kausalzusammenhängen betrachten können – von Wirtschaft und Umwelt über Gesellschaft und Politik bis hin zur Technologie. Dieses ganzheitliche, systemische, vernetzte Denken wurde während meines Studiums besonders gefördert.

Welche Bedeutung hat für Sie als Wirtschaftsingenieur der Faktor Interdisziplinarität?
Eine entscheidende Bedeutung, denn wirklich alle komplexen Herausforderungen der modernen Welt, von der drohenden Rohstoffknappheit, über die Cyber-Sicherheit bis hin zur nachhaltigen Mobilität, lassen sich nur interdisziplinär meistern. Das war mir schon früh klar. Deshalb habe ich schon in meiner frühen Forschungs- und Lehrtätigkeit die Doktoranden-Teams immer interdisziplinär zusammengestellt: vom Wirtschaftsgeographen über Ethnologen bis hin zu Laser-Technikern und Betriebswirtschaftlern. Am Anfang ist es immer herausfordernd, bei so heterogenen Teams ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, weil alle so unterschiedlich denken und sprechen, doch nach der ersten Anlaufzeit entfalten sich die überragenden Potenziale dieser interdisziplinären Teams umso stärker – und die Ergebnisse sind einfach originell.

Sind aus Ihrer Sicht Absolventen und Professionals mit einem weiten Horizont mo-mentan besonders gefragt?
Das sehe ich an meiner eigenen Einstellungspraxis sowie an dem, was die Kolleginnen und Kollegen bevorzugen. Denn nur eine breite Ausbildung bereitet optimal auf das immer komplexer werdende Berufsleben vor. Das ist der eine Faktor. Der andere ist, immer auch Eigenschaften und Themen zu fördern, die mich am Markt differenzieren und außergewöhnlich machen. Indem man zum Beispiel ein herausragendes Thema belegt, das sonst noch keiner oder nur wenige belegen, beispielsweise in Fragen der Robo-Ethik. Oder indem man eine einzigartige Kombination sehr unterschiedlicher Fachrichtungen wählt. In Zeiten von Disruption und digitaler Transformation sind unkonventionelle und originelle Denkanstöße Gold wert und die Menschen, die das liefern können, sehr begehrt.

Stichwort weiter Horizont: Welches Thema beschäftigt Sie gerade besonders und warum?
Das Thema Künstliche Intelligenz und Arbeitswelt der Zukunft: Wie viele neue Jobs und Berufe entstehen durch die Technologien der Zukunft? Werden es 10, 20 oder gar 30 Prozent mehr sein? Kaum einer hat vor 20 Jahren schon an Jobs wie Web-Designer, Visual Artist, Social Media Manager und Influencer gedacht. Und inwieweit schaffen Roboter es tatsächlich, uns alle lästigen, schmutzigen, gefährlichen oder repetitiven Aufgaben abzunehmen? Ganz konkret beschäftige ich mich gerade auch mit dem multi-sensorischen Internet, das heißt der Digitalisierung von Sinneseindrücken wie Geruch und Geschmack. Damit könnte ich online nicht nur die schönste, sondern auch die am besten duftende Rose via Notebook einkaufen. Oder der KI-Advisor in der Hosentasche, mit dem ich eine direkte Verbindung zum Superrechner habe: Nie wieder unüberlegte oder schwache Entscheidungen!

Von welcher technischen und/oder gesellschaftlichen Entwicklung erwarten Sie in den kommenden fünf bis zehn Jahren ein die Zukunft besonders prägendes Potenzial?
Es gibt derzeit viele interessante neue technische Entwicklungen. Besonders die Gedankensteuerung hat es mir angetan. Noch während ich im Bett liege, kann ich bereits die Kaffee-Maschine anschalten – ohne einen Finger zu bewegen. Ein Beispiel aus der Arbeitswelt: Ich kann leider binnen weniger Sekunden keine 30 Knöpfe und Hebel bedienen, um zum Beispiel eine Maschine zu steuern. Aber ich kann in wenigen Sekunden locker 30 Gedanken fassen – und die Maschine führt sie aus. Unser menschlicher Wirkungsgrad würde sich verzigfachen! Auch für bewegungseingeschränkte Menschen wird die Gedankensteuerung eine wahre Wohltat sein: Sie können so ihre Prothesen und Rollstühle mit Gedankenkraft steuern.

In den Sommerinterviews befragt der VWI in loser Folge Wirtschaftsingenieure und Wirtschaftsingenieurinnen, die wichtige Positionen in Industrie und Lehre innehaben, zu ihrem Blick auf das Berufsbild.

Kreislaufwirtschaft

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Mit Kreislaufwirtschaft gegen die Erdüberlastung

Der Earth Overshoot Day – oder auch Erdüberlastungstag – bestimmte Ende Juli die Schlagzeilen. Denn am 29. Juli und damit so früh wie noch nie zuvor hatte die Weltbevölkerung rein rechnerisch die für 2019 verfügbare Menge an nachwachsenden Rohstoffen verbraucht, die im laufenden Jahr von der Erde reproduziert werden kann. Die Unternehmensberatung PwC appelliert in dem Whitepaper „The road to circularity“, das aktuell dominierende, lineare Wirtschaftsmodell durch das Prinzip der Kreislaufwirtschaft zu ersetzen. Die Analyse soll Anregungen und Handlungsempfehlungen geben, wie dieser Übergang gelingen kann.

Die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy, CE) orientiert sich an der Natur als Vorbild. Das Ziel ist ein geschlossener Materialkreislauf, der die Entstehung von Abfällen minimiert und im Idealfall vermeidet. Drei Prinzipien sind charakteristisch:

  • Ressourcen effizient einsetzen und erneuerbare Materialien, wo immer möglich, priorisieren
  • Nutzung und Lebensdauer von Produkten maximieren
  • Neben- und Abfallprodukte nutzen, um Neues herzustellen

„Viele Unternehmen haben bereits die Relevanz der Kreislaufwirtschaft erkannt“, sagt Hendrik Fink, Leiter Sustainability Services bei PwC Deutschland. Die Herausforderung bestehe nun darin, das Prinzip vollständig in die Geschäftsprozesse zu integrieren. Dabei sei es wichtig, sich nicht nur auf die kurzfristige finanzielle Wertschöpfung zu konzentrieren, sondern auch den Wert für die Verbraucher, die Umwelt und die Gesellschaft als Ganzes mit einzubeziehen. Fink ist überzeugt, dass Unternehmen, denen es gelingt, sich neu zu erfinden und innovative Geschäftsmodelle auf Basis der Circular Economy zu etablieren, die Gewinner von morgen sein werden.

Kreislaufwirtschaft bringt Unternehmen Vorteile

Dem White Paper zufolge gibt es für Unternehmen zahlreiche Gründe, das Prinzip der Kreislaufwirtschaft in ihre Geschäftsmodelle zu integrieren. Zum einen lasse sich so die Abhängigkeit von Rohstoffen reduzieren und die Wertschöpfungskette unabhängiger und widerstandsfähiger gestalten. Zum anderen würden Verbraucher Kriterien der Nachhaltigkeit stärker in ihre Kaufentscheidungen einbeziehen, was in eng verwobenen Lieferketten den Druck erhöhe, auf umwelt- und sozialverträgliche Geschäftspraktiken zu setzen. Circular-Economy-Ansätze könnten zudem Geschäftschancen durch neue Second-Hand-Märkte und Geschäftsmodelle der Sharing Economy erhöhen.

Als einen wichtigen Treiber für die Kreislaufwirtschaft hat PwC innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, 3D-Druck, Robotik, Blockchain, Drohnen oder Virtual- und Augmented Reality identifiziert– sie alle können demnach dazu beitragen, Strategien der Kreislaufwirtschaft zu stärken. Künstliche Intelligenz beispielsweise könne die Produktivität und Effizienz erhöhen, indem sie den Verbrauch von Energie und Wasser bei der Produktion optimiert, während 3D-Druck die Nachhaltigkeit des Designs und die Langlebigkeit eines Produkts verbessern könne. Auch der Einsatz von Drohnen könne die Langlebigkeit fördern, zum Beispiel durch gezielte frühzeitige Instandsetzung.

Deutschland: Circular Economy Initiative gegründet

In Deutschland hat sich übrigens eine Circular Economy Initiative gegründet, welche die lineare Logik des Herstellens und Verbrauchens durchbrechen will. Wissenschaft, Unternehmen und Zivilgesellschaftliche Organisationen wollen darin zusammen an einem Zielbild für Deutschland arbeiten. Eine erste Studie beleuchtet Perspektiven für Deutschland, europäische Vorbilder und die Entwicklung einer Circular Economy Roadmap.

carsten Kratz BCG

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Sommerinterview: Carsten Kratz, Boston Consulting Group

Carsten Kratz hat an der TU Darmstadt Wirtschaftsingenieurwesen studiert und arbeitet seit 1990 für die Boston Consulting Group (BCG). Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen Themen wie Strategieentwicklung, operative Effizienzsteigerung und Organisationsentwicklung. Die Begleitung umfassender Transformationen gehört ebenfalls zu seinem Repertoire. Besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit – gerade in jüngerer Vergangenheit – sind datengetriebene Transformationen, bei denen „Digital & Analytics“ im Mittelpunkt stehen. Er berät zahlreiche Kunden aus verschiedenen Branchen wie Industrie, Konsumgüter, Private Equity und dem öffentlichen Sektor. Von 2013 bis 2019 war Carsten Kratz Deutschlandchef und hat seine Rolle im April dieses Jahres turnusgemäß an seinen Nachfolger übergeben. Ende September wird Carsten Kratz, der seit April Chairman für Deutschland und Österreich ist, BCG verlassen.

Herr Kratz, warum haben Sie Wirtschaftsingenieurwesen studiert?
Ich war schon als Kind ein Tüftler und mir war schnell klar, dass ich diese Leidenschaft auch in meinem Berufsleben verwirklichen möchte. Gleichzeitig wuchs während meiner Schulzeit der Wunsch, eine Management-Laufbahn einzuschlagen. Daher war und ist das Wirtschaftsingenieurwesen die perfekte Kombination für mich. Der Chef meines Vaters sagte mir einmal, das sei weder Fisch noch Fleisch. Das hat mich dann schon etwas zum Grübeln gebracht. Aber heute weiß ich: Es ist Fisch und Fleisch – und jeder weiß, dass eine ausgewogene Ernährung gesund ist…

Welche Skills, die Sie im Studium erlernt haben, waren für Ihren Werdegang besonders wichtig?
Das Studium ist sehr anspruchsvoll. Wer sich als Ziel gesetzt hat, den Abschluss in einem überschaubaren Zeitraum zu machen, merkt schnell: Hier sind Disziplin und Struktur gefordert. Das sind zwei Tugenden, die in meinem Berufsleben seit jeher eine sehr wichtige Rolle spielen. Fachlich gesehen, hilft mir die Kombination aus Ingenieursdenken und Businessperspektive immer wieder. Wenn man ein technisches Verständnis mitbringt, bekommt man bei der wirtschaftlichen Betrachtung eines Unternehmens ein ganz anderes Gefühl für die Produkte und Dienstleistungen, die die Mitarbeiter oft mit Hingabe und Leidenschaft erarbeiten. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Frage nach Orientierung und dem so genannten „Purpose“ eines Unternehmens immer stärker in den Vordergrund rückt, ist das sehr hilfreich.

Welche Bedeutung hat für Sie als Wirtschaftsingenieur der Faktor Interdisziplinarität?
Interdisziplinarität ist einer der wichtigsten Faktoren in der Arbeitswelt und weit darüber hinaus. Angesichts der neuen Technologien und des rasanten Tempos, in dem sie unsere Welt verändern, kommt man mit Scheuklappen-Denken nicht weiter. Hier sind verschiedene Perspektiven gefragt. Denn Vielfalt ist ein Treiber für Innovation, das haben wir bei BCG sogar empirisch belegt. Die Bedeutung von Vielfalt gilt dabei nicht nur für Disziplinen, sondern für viele Facetten wie Herkunft, Geschlecht oder Kultur.

Sind aus Ihrer Sicht Absolventen und Professionals mit einem weiten Horizont momentan besonders gefragt?
Zunächst einmal bin ich davon überzeugt, dass die meisten Studenten keinen limitierten Horizont haben. Ich erlebe immer wieder aufs Neue, dass es nicht vom Studiengang abhängt, wie aufgeschlossen jemand ist. Wer bereit ist, offen an Dinge heranzugehen, verlässt die Uni mit einem weiten Horizont. Und das ist wichtig. Natürlich brauchen wir Spezialisten und Experten in bestimmten Gebieten. Wer seine Fähigkeiten aber auch auf Problemstellungen aus anderen Bereichen anwenden kann, hat einen viel größeren Hebel, sein Know-how gewinnbringend einzusetzen.

Stichwort weiter Horizont: Welches Thema beschäftigt Sie gerade besonders und warum?
Klimaschutz und Artenvielfalt stehen ganz oben auf der Agenda. Die Frage, wie wir unsere Lebensweise und unser Wirtschaften nachhaltig gestalten, ist eine der drängendsten unsere Zeit. Das zeigen nicht zuletzt die Fridays-for-Future-Proteste und die Ergebnisse der jüngsten Wahlen und Umfragen.
Stichwort weiter Horizont: Das Thema beschäftigt mich schon seit einiger Zeit, unter anderem in meiner Rolle als Verwaltungsratsmitglied der Senckenberg-Stiftung. BCG hat mit der Studie „Klimapfade für Deutschland“ erarbeitet, ob und wie sich die Klimaziele erreichen lassen. Mit eindrucksvollen Ergebnissen. Die notwendigen Technologien gibt es bereits und Deutschland kann sich den Klimaschutz nicht nur leisten, sondern könnte davon sogar wirtschaftlich profitieren – wenn wir jetzt entschlossen handeln.
Wir müssen die Dinge systemisch betrachten, also alle möglichen Hebel gleichzeitig bewegen. Beispielsweise ist die Diskussion, mit welchem Strom die Batterie eines Elektroautos geladen wird, nicht zielführend: Wir müssen so schnell es geht möglichst viele Elektroautos auf die Straßen bringen und parallel konsequent die Energiewende vorantreiben. Nur so haben wir eine Chance, mittelfristig den Schritt in die Elektromobilität zu schaffen – mit Batterien, die mit grünem Strom geladen werden!

Von welcher technischen und/oder gesellschaftlichen Entwicklung erwarten Sie in den kommenden fünf bis zehn Jahren ein die Zukunft besonders prägendes Potenzial?
Wir leben in einer von Daten getriebenen Welt. Wir produzieren so viele Daten wie niemals zuvor – allein ein Internetstar wie Kim Kardashian produziert schon ohne Weiteres mehr als 0,5 Gigabyte pro Tag. Ein intelligentes Auto, das über Sensoren und Kameras Daten sammelt, schafft täglich sage und schreibe 30 Terabyte. Und genau hier beginnt die eigentliche Datenexplosion. Denn die Vernetzung von Dingen nimmt erst richtig Fahrt auf. Jeden Tag werden 5,5 Millionen neue Gegenstände mit dem Internet der Dinge verbunden. Darin liegt eine riesige Chance für Deutschland mit seiner industriellen Basis und den entsprechenden Maschinendaten – also wiederum auch eine riesige Chance für alle (Wirtschafts-) Ingenieure.
Es werden diejenigen erfolgreich sein, die es schaffen, diese Daten nicht nur zu sammeln, sondern sie greifbar zu machen, sie zu analysieren und darauf aufbauend neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Daher ist Digital & Analytics einer der Megatrends, der die Zukunft entscheidend prägen wird.

 

In den Sommerinterviews befragt der VWI in loser Folge Wirtschaftsingenieure und Wirtschaftsingenieurinnen, die wichtige Positionen in Industrie und Lehre innehaben, zu ihrem Blick auf das Berufsbild.